Presse "Rinderwahnsinn"
BSZ, Bochumer Studierenden Zeitung, 25. Juni 2003
Let us entertain you
Von Düffels Rinderwahnsinn in einer Inszenierung des lurch.theaters
im Musischen Zentrum
Das lurch.theater, das im vergangenen Herbst mit Gesine Danckwarts Girlsnightout überaus erfrischend debütierte, erarbeitete in seiner zweiten Produktion unter der Regie von Sevtap Özkutlu und Dirk Schwantes die Familiensatire Rinderwahnsinn.
Die Überzeugungen der Eltern Karlmarx und Muttermeinhof sind bei deren Kindern Hänselundgretel und Faustersterteil nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Tochter träumt von nichts anderem als einer normalen spießbürgerlichen Familie und macht es sich zur Aufgabe, ihrem Vater einen dicken Bauch anzumästen, denn dicke Bäuche liebt sie. Der Sohn, ein promovierter Jungnazi will zwar rebellieren, aber nur gegen die Gesinnung der Eltern, vor allem aber gegen die Simplifizierung „Gut und Böse“. Nicht das Sein sondern das Schambein bestimmt das Bewusstsein und die Wahrheit ist die Geilheit – Parolen, mit der er Muttermeinhof zur Weisglut treibt. Vom dem plötzlich eintreffenden Besuch, dem Vetterausdingsda, der eigentlich nur das Klo benutzen will, denkt Muttermeinhof, er sei ein Mittelsmann der Kommandoebene der RAF. Doch Vetterausdingsda erzählt nur vom vermeintlichen Rinderwahnsinn auf dem Lande. Hänselundgretel verliebt sich in diesen Vetterausdingsda, entspricht sein Bauchumfang doch dem Maß ihrer Träume. Am Ende erschießt der Vetterausdingsda Karlmarx und hinterlässt einen um den Vatermord gebrachten Faustersterteil, eine am Glauben an die Menschheit verzweifelte Muttermeinhof sowie eine geschwängerte Hänselundgretel.
Im Bauch der Farce lauert die Tragödie
In dieser Farce des 1966 geborenen John von Düffel,prallen die Klischees der 68er auf die ihrer Kinder, was für das Ensemble des lurch.theaters Anlass ist, zu schauspielerischen Hochleistungen aufzudrehen. Nikolaus Koch verkörpert Vater Karlmarx als Wollpullover tragenden Alt-68er, ohne dabei permanent in das typische Klischee abzurutschen; der Vater ist die aufgeklärte Ruhe in Person, ist sie aber auch gleichzeitig wieder nicht. Auf jedem Fall aber ist er der Gegenpool zu Meike Misia, die Muttermeinhof als durchgreifende Revoluzzerin gibt und damit nach ihrem Auftritt die Szene beherrscht. Elisa Müller stellt Tochter Hänselundgretel, die lieber Kittelschürze statt Aufnäher von Che Guevara oder rote Sterne trägt, als naiv-romantische sMädchen dar, das eigentlich genau wie ihre Eltern an ihre Ideale glaubt – nur sind diese nicht gesellschaftspolitischer Natur. Boris Mercelot als Faustersterteil überzeugt als zwischen den Fronten stehender Sohn, der sich vom übermächtigen Vater befreien will, letztlich aber versagt. Vervollständigt wird dieser Reigen der Darsteller durch Heiko Jansen, der den Vetterausdingsda, Dingsda ist übrigens irgendwo im Osten, als ein von den Ereignissen überrolltes Landei spielt und eher zufällig zum Mörder von Karlmarx wird.
Auch wenn der Wortwitz Düffels des öfteren ins Kalauerhafte abrutscht, überzeugt die Inszenierung durch ihren flotten Rhythmus, die überspringende Spielbegeisterung der Darsteller sowie einer durchdachten Regie, die die Kurzlebigkeit des Stücks mit dem Zeitgeist paart. Was bleibt zu sagen? Das lurch.theater kommt wieder einmal seinem Motto nach, gut zu unterhalten.
Ivonne Woltersdorf
WAZ Mülheim, 14. Januar 2004
Der Wahnsinn hat Routine
So populistisch kann keine Büttenrede sein wie John von Düffels
"Rinderwahnsinn". Kein Wunder, dass es das meistgespielte Stück
des jungen Autors (37) ist, mit seiner Attacke auf die 68-Bewegung spricht
er so manchem aus dem rechtschaffenen Herzen.
Und er erreicht diejenigen, die sich in dem respektlos vorgeführten Generationenkrieg
wiederfinden. Die Bochumer Studentenbühne lurch-theater hat "Rinderwahnsinn"
im Mülheimer Theater an der Ruhr gezeigt, und wenn das Stück auch
Zweifel weckt, so ist es dem Theater doch hoch anzurechnen, dass es sich jungen
Gruppen öffnet. Schon länger finden Studentenbühnen in Mülheim
ein Forum, am 16. und 17. Januar stellt sich die bonn university shakespeare
company hier mit "Timon of Athens" dem Publikum.
Solche Gastspiele überraschen im günstigen Fall mit interessanten
Talenten, und sie sprechen ein junges Publikum an. Das kann den frechen Witz
und die griffigen Symbole in "Rinderwahnsinn" genießen wie
eine Comedy, ohne sich am mangelnden Hintersinn zu reiben. Und es klingt ja
auch witzig, wenn der Vater Karlmarx heißt und die Mutter Muttermeinhof,
die Tochter auf den Namen Hänselundgretel hört und der Sohn auf
Faustersterteil. Aber was kommt danach? Leider nicht viel.
Griffige Symbole und markige Sprüche, das ist der Stoff, aus dem der
Rinderwahnsinn gemacht ist. Faustersterteil, mithilfe weißer Schnürsenkel
zum Skinhead stilisiert, plant den Vatermord, Karlmarx, der eigentlich ein
Weichei ist, skandiert trotzig: "Bumm, bumm, bumm, wir haun die Bonzen
um", Muttermeinhof schwänzt ihre paramilitärische Gymnastikstunde
und Hänselundgretel ist trotz einschlägiger Erziehung ein Spießbürgerchen.
Das ist zum Lachen gut genug, aber sonst folgenlos. Nur selten gelingen witzige
Szenen mit einem Hauch Bedeutung. Aber es gibt sie: "Was hast du heute
gegen den Kapitalismus getan?" fährt Muttermeinhof ihren Mann an,
und Karlmarx erwidert sanft: "Nicht in dem Ton, Mutti, nicht in dem Ton."
Die Streiche der Vergangenheit zu belachen, ist nicht neu, der "Rinderwahnsinn"
ist eine Feuerzangenbowle der Gegenwart. Dass die neuen Streiche blutig waren,
scheint vergessen, die RAF, deren Stern über der Bühne hängt,
wird zum Anlass für Späße. Und die Zuschauer machen willig
mit bei der Übertragung des politisch Kriminellen ins harmlos Komödiantische:
Auf Geheiß falten sie gehorsam die Hände im Genick und neigen kichernd
die Köpfe, während Muttermeinhof das Maschinengewehr schwingt. Dagegen
ist es beinahe als Geniestreich zu werten, dass die antiautoritäre Erziehung
auf antiautoritäre Weise bloßgestellt wird.
John von Düffel erwähnt gelegentlich, dass er über ein erkenntnistheoretisches
Thema promoviert hat. Davon merkt man hier wenig, wenn auch der Sohn dem Vater
"die nie versiegende Kraft deines Irrtums" vorwirft. Doch die Debatte
der beiden über Gut und Böse bleibt in Plattheiten hängen;
der Schein der Gesellschaftskritik erstickt im Bewusstsein der Spaßgesellschaft.
14.01.2004 Von Gudrun Norbisrath